Bolivien 2005: Die Besteigung des Huayna Potosi

Der Huayna Potosi
Der Huayna Potosi

Gebucht hatten wir diese Tour bereits zusammen mit der "Salar de Uyuni"-Tour bei ein und derselben Agentur.
Leider wurde aus der gemeinsamen Tour eine Tom-Tour: Mein Kumpel Albi hatte sich in den 2 Tagen nach dem Chorro eine üble Magenverstimmung geholt, die so schlimm war, daß wir bereits mit einer Typhusinfektion rechneten. Glück im unglück: es war "nur" eine bakterielle Infektion, doch Albi war schlicht und ergreifend außer Gefecht gesetzt.
Also ging ich den Huyana Potosi ohne ihn an; bereits 2 Abende vor dem Tourbeginn ließ die Agentur extra eine Thermohose zum drüberziehen anfertigen (das war im Trip-Preis inbegriffen), weil einfach noch nie ein 1,93 Meter großer Kerl bei ihnen gebucht hatte und es eine solche Hosengröße nicht im Lager gab.
Etwas generelles zu diesem Berg: er sei "technisch relativ einfach", so hört man immer wieder, besonders bei den Agenturen. Das ist zwar nicht falsch, aber trotzdem eine ziemliche Verharmlosung. Es gibt KEINE einfachen Sechstausender, das weiß auch jeder einfache Alpinist. Wer nicht topfit ist, sich der Höhe angepasst hat und noch ein Quentchen Glück hat, für den kann auch dieser vermeintlich einfache Berg (wie jeder Berg) eine Nummer zu groß sein. Alpine Erfahrung mitzubringen ist sowieso ein großer Vorteil, eigentlich ein Muß.

Los geht es früh morgens um 8 Uhr, ich finde mich in der Agentur ein, das Taxi zum Berg steht bereits vor der Tür. Der Agenturmanager wird mich bis zum Basiscamp begleiten, denn auf dem Weg dorthin gabeln wir noch den Bergführer auf. Die Fahrt führt vorbei am Flughafen El Alto, quer durch die ärmeren Stadtteile El Altos, weil der Fahrer "nochmal eben kurz irgendwas da bei irgendwem vorbei bringen muss" - mir soll's recht sein, so sehe ich auch mal die nicht so bekannte und zugängliche Seite oberhalb von La Paz.
Weiter geht es durch das Altiplano, die bolivianische Hochebene in Richtung Berge. Die Fahrt dauert insgesamt nur etwa 1 1/2 Stunden, denn der Huayna Potosi ist einer der Hausberge von La Paz.
Wie geplant gabeln wir unterwegs Andres auf, meinen Bergführer und Begleiter für die nächsten 48 Stunden.
Er ist etwa so alt wie ich, ein symphatischer Kerl und sein Englisch ist kaum der Rede wert, ebenso wie mein Spanisch. Macht nix, denke ich, das bekommen wir schon hin. Am Basis-Camp angekommen fährt das Taxi wieder zurück; Andres und ich wollen unser Gepäck noch richten und dann gegen 11 Uhr in Richtung Höhenlager aufbrechen.

Es ist ein Wahnsinnswetter, die Sonne knallt vom Himmel, dem man sich hier auf 4700 Meter eh schon etwas näher fühlt als in Bremen. Aber wie immer in den Bergen sollte man das Wetter gut im Auge behalten. Wir stiefeln los und lassen das Basiscamp hinter uns, nur noch eine Seilschaft wird uns nachfolgen. Der Anstieg ist hier "unten" noch recht harmlos, ein Trampelpfad schlängelt sich gemächlich am Fuße des Huayna entlang. Da soll nicht so bleiben. Der Anstieg zum Höhenlager soll etwa 4 bis 5 Stunden dauern; dort werden wir dann unser Zelt aufschlagen, etwas essen und sehr früh in den Schlafsack hüpfen, denn der Aufstieg zum Gipfel ist für 1 Uhr morgens geplant. Gegen 6 Uhr sei man auf dem Gipfel -pünktlich zum Sonnenaufgang- und zurück im Höhenlager gegen 10 Uhr.
So langsam wird es steiler, Andres führt mich über Muränen und Geröll, das der gewaltige Gletscher links von uns in den letzten paar hundert Jahren hier abgelagert hat. Schon sieht die Hütte des Basiscamps ziemlich klein aus, das Höhenlager ist aber noch nicht zu erkennen. Andres zeigt auf ein Felsplateau, welches noch etwa 200 Hm entfernt ist.
Die letzte Hürde ist ein großes und recht steiles Geröllfeld, und nunkomme ich wirklich außer Atem - kein Wunder bei der Höhe. Ich gehe zwar sehr langsam, aber trotzdem rennt die Pumpe. Letztendlich erreichen wir gegen 16 Uhr das "Rock Camp", das Höhenlager auf 5130 Meter. Diverse Teams -insgesamt etwa 35 Leute- haben bereits Ihr Zelt aufgeschlagen, kochen oder geniessen die Aussicht. Das Camp macht seinem Namen alle Ehre: nur Felsgestein, so weit das Auge reicht. An einigen Stellen haben fleissige Hände flache Steine in der Größe von Zweimann-Zelten so zusammengetragen, daß etwa 15 "flache" Plätze für die Zelte entstanden sind. Was muss das für ein Plackerei gewesen sein, denke ich und Andres uns ich beziehen einen der noch wenigen freien Plätze.
Nachdem das Zelt steht, zieht Andres einen uralten Benzinkocher aus seinem Rucksack und macht ihn startklar, während ich Schmelzasser vom Gletscher hole. Eine wirklich beeindruckende Kulisse: das Höhenlager liegt direkt an einem gewaltigen Gletscher, über den wir auch in ein paar Stunden den Aufstieg wagen wollen.
Um mal schonmal einen kleinen Vorgeschmack zu bekommen, ziehen Andres und ich uns unsere Hardboots an (die wir natürlich im Rucksack mit hoch gebuckelt haben), schnallen die Steigeisen drunter und besteigen den Gletscher. Mit Steigeisen zu laufen ist schon gewöhnungsbedürftig, zumal mein letztes Mal schon einige Jahre her ist. Wir haben einen tollen Blick auf das Höhenlager, nachdem wir etwa 15 Minuten aufgestiegen sind und schon einige nette Gletscherspalten ausgemacht haben. Das soll erstmal reichen, also zurück zum Camp.
Als die Sonne hinter den Bergkämmen verschwindet, wird es plötzlich äußerst windig und verdammt kalt - kein Wunder, wenn die Thermik abreisst, dann wird's zugig... Wir begeben uns in unser Zelt, um etwas Schlaf zu bekommen und Kraft zu tanken (ich habe das wohl viel eher nötig als Andres); es ist etwa 1730h, als wir uns hinlegen. Glücklicherweise ist ein Paar Ohrstöpsel mein Begleiter auf jeder Tour, denn der starke Wind zerrt und reisst am Zelt, natürlich begleitet von entsprechendem Lärm. Andres schläft sofort. Ich bin froh, mir noch in Deutschland eine leichte Thermarest gekauft zu haben, aber auch durch diese spüre ich diverse unangenehme Dellen, Beulen und Huggel unter mir. Egal - das gehört dazu.

 

Natürlich muss ich 2 Stunden später pinkeln wie ein Stier. Der Wind pfeift unablässig und es ist schweinekalt, obwohl das Zelt Schutz vor dem Wind gibt. Es nützt nix, ich schäle mich aus dem Schlafsack und krabbel hinaus. Etwa 10 Meter entfernt macht ein anderer Kerl genau das gleiche - wie sehen uns an, grinsen und er macht ein fragendes Gesicht samt eine eindeutiger Geste. Ich nicke lachend und wir suchen uns einen geeigneten Felsen. Ich bin erleichtert, aber überhaupt nicht müde und der andere - er ist Franzose - anscheinend auch nicht. Er spricht weder englisch noch deutsch, ich hingegen kein französisch und auch kein spanisch. Macht nix, wir verstehen uns auch ohne Worte. Er zieht eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, lacht kurz und gibt mir zu verstehen, daß es bestimmt eine Weltklasseidee sei, hier auf 5130 Meter eine zu rauchen. Also rauchen wir eine und bewundern das Panorama in der Dämmerung. Er erzählt was auf französisch und ich etwas auf Deutsch - ich habe bis heute keine Ahnung, was er mir erzählte, aber das auch unwichtig. Der Moment als solcher war irgendwie besonders und vielleicht sogar etwas surreal.
Nach 20 Minuten begibt sich jeder wieder in sein Zelt.

TAG 2
Andres weckt mich gegen Mitternacht. Draussen herrscht schon eine Menge Betrieb als sich die verschiedenen Seilschaften fertig machen für den Aufstieg. Wir rödeln auch auf und machen uns als vorletzte Gruppe auf den Weg. Natürlich ist es stockduster, aber der Schnee und das Eis reflektieren das Restlicht und tauchen die Umgebung in ein diffuses Dunkelgrau. Kleine Lichter schaukeln langsam an einer imaginären Linie entlang den Gletscher hoch: die Stirnlampen unserer Bergkameraden, die schon unterwegs sind. Es geht langsam voran und Andres ist ein guter Führer; er passt sich meinem Tempo an und macht mich aufmerksam auf kleine Spalten und Löcher im Eis, die trotz unserer starken Lampen schlecht zu erkennen sind.

Eine Spalte ist besonders beeindruckend: sie ist ca 2 Meter breit und um sie zu überwinden, steuert Andres auf eine Eisbrücke zu, die etwa 1,5 Meter dick und 0,5 Meter breit ist. Am Rand schaue ich hinunter, der Lichtkegel verliert sich, ohne das Ende zu erreichen. Spätestens jetzt merkt jeder, worauf er sich eingelassen hat - die Spalte ist nicht zu erkennen, wenn man sich weiter als 3 oder 4 Meter vor ihr befindet.
Etwas mulmig überquere ich die natürliche Brücke, über die ja auch schon die anderen gegangen sein müssen.
Nach etwa 1 1/2 Stunden passieren wir das zweite Höhenlager namens "Argentino Camp" auf 5425 Meter; es ist allerdings nur durch ein großes Holzschild als Camp zu erkennen. Weitere 45 Minten später, es ist ca. 3 Uhr in der Früh, noch etwa 3 Stunden Aufstieg und 450 Höhenmeter liegen vor uns und ich bin jetzt schon platt. Zwei Schokoriegel gegen meine Ermüdung bewirken noch nicht mal einen Placeboeffekt und meine Schritte werden immer kleiner, die Pausen zum Durchatmen immer häufiger.
1 Stunde später, so gegen 3 Uhr merke ich, daß etwas nicht stimmt. Ich muß mich sehr konzentrieren, um scharf sehen zu können - und eben das Konzentrieren fällt mir ausgesprochen schwer. Ausserdem habe ich das Gefühl zu schwanken und anscheinend ist das auch so - ohne Abstützen auf meinen Stöcken wäre ich in Schwierigkeiten.
Noch zwei Schokoriegel rein und weiter, noch bin ich nicht bereit aufzugeben. Eine weitere Stunde (aber gefühlte 5 Stunden) später ist es noch schlimmer geworden. Ich beschliesse, die Besteigung abzubrechen, was mich natürlich ungemein ärgert, aber das Risiko eines Fehltrittes ist mir einfach zu hoch. Mittlerweile sind noch Kopfschmerzen dazu gekommen und nun ist auch mir klar, daß mich die Höhenkrankheit doch erwischt hat. Verdammt. Nur noch 250 Höhenmeter - ich kann natürlich nur schätzen - aber es nützt nichts. Ich habe schon oft genug leichsinnige Menschen in den Alpen gesehen, deren Selbstüberschätzung mit einem unfreiwilligen Helikopterflug endete und ich bezweifle, daß die Bergrettung hier ähnlich gut arbeitet - falls es überhaupt eine gibt.

Andres und ich kehren also um und Andres wundert sich, daß er die nach uns gestartete Gruppe nicht ausmachen kann, obwohl die Sicht nach unten frei ist. Ehrlich gesagt will ich nur noch runter und mich hinlegen, aber abzusteigen ist ja bekanntermaßen noch kniffeliger als der Weg rauf. Die vielen Löcher, Senken und Spalten sind von oben betrachtet noch schlechter zu erkennen und selbst Andres muss einmal seinen Weg korrigieren.

Gegen 6 Uhr sind wir wieder im Lager und siehe da - die "verlorene" Gruppe sitzt vor Ihren Zelten und schaut betrübt aus der Wäsche. Es sind 3 Italiener und sie erzählen mir, daß es ihnen anscheinend ähnlich geht wie wir, der eine sei sogar mächtig ausgerutscht und erstmal 20 Meter den Gletscher herunter gerutscht.
Nun bewegt sich das auch ein anderes Zelt und ein Mädel schaut heraus, eine Engländerin, die die Höhenkrankheit bereits hier im Rock Camp erwischt hat und sich gar nicht erst an den Aufsteig gewagt hat.

Nach ein paar Minuten verdrücke ich mich ins Zelt, zwar verärgert über den Abbruch aber sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Gegen 11 Uhr treffen die anderen Gruppen wieder im Höhenlager ein - sie haben es geschafft und den Gipfel erreicht. Einer unter ihnen, ein Italiener erzählt mir, dies sei sein zweiter Anlauf auf den Huayna Potosi gewesen, das erste Mal sei es ihm wie mir ergangen.
Eine Stunde später sind wir bereits auf dem Weg zurück ins Base Camp, wo wir am Nachmittag auch eintreffen.

Resumee: für einen Sechtausender hat's nicht gereicht... Aber für 5850 Höhenmeter :-) Und ganz klar ist: I'll be back and make it....